Zürich braucht keine Sperrklausel

Seit 2006 können nur Parteien, die bei den Wahlen in mindestens einem Wahlkreis einen Wähleranteil von 5% erreichen, in das Parlament einziehen. Eine Initiative in der Stadt Zürich, eingereicht von einer bunten Mischung von Parteien, fordert nun die Abschaffung dieses Quorums für die Gemeinderatswahlen. Sie hat nur geringe Chancen, denn das Stimmvolk hat 2011 eine ähnliche, weniger extreme Initiative schon einmal abgelehnt.

Für mich speziell ist, dass ich dieser Initiative mit tief gespaltenen Gefühlen gegenüberstehe.

Einerseits profitiere ich von der Hürde, da bei den letzten Abstimmungen vor allem Parteien die Wahl verpasst haben, deren politische Meinung ich nicht teile. Hätten die Wahlen 2014 ohne Sperrklausel stattgefunden, hätte die EVP drei, die SD, BDP, EDU und Piratenpartei je einen Sitz erhalten. Während sich bei einigen der Parteien noch Überschneidungen zu meiner eigenen politischen Einstellung finden, freut und beruhigt es mich, dass insbesondere die Schweizer Demokraten und die Eidgenössische Demokratische Union nicht (mehr) im Parlament vertreten sind.

Andererseits finde ich es stossend, wenn Parteien, welchen rein rechnerisch ein Sitz im Gemeinderat zusteht, diesen nicht besetzen können. Dabei geht es nicht um die Frage, ob ich deren Politik gutheisse, sondern viel mehr darum, wie weit die Demokratie eingeschränkt werden darf.

Das Argument, diese Parteien hätten in der Bevölkerung nur geringen Rückhalt und es sei darum zulässig, sie von der Teilnahme am Parlament auszuschliessen, ist problematisch. Es muss meiner Meinung nach in der Zürcher Politik auch für Minderheitenmeinungen Platz geben. Der Rückhalt mag gering sein, nichtsdestotrotz gibt es ihn. Ansonsten würden die Parteien ja nicht gewählt.

Fassbarer ist da schon die Befürchtung, die Zahl der im Gemeinderat vertretenen Parteien könnte so weit steigen, dass eine effiziente Bearbeitung der Geschäfte nicht mehr möglich ist. Wir sprechen hier, wenn wir die Wahlen von 2014 als Ausgangspunkt nehmen, von vier zusätzlichen Parteien, die in Parlament vertreten wären. Weil diese Parteien alle die Fraktionsstärke von 5 Sitzen verfehlen würden, könnten sie nicht in Kommissionen Einsitz nehmen und sich somit nur durch Wortmeldungen an den Gemeinderatssitzungen einbringen, welche natürlich Zeit brauchen.

Wahrscheinlicher wäre es aber, dass sich die Kleinparteien an bestehende Fraktionen anschliessen. So politisiert die EVP im Nationalrat innerhalb der CVP-Fraktion. Im Kanton Aargau hatte sich die BDP im Grossen Rat ebenfalls der CVP-Fraktion angeschlossen, bevor sie eine eigene Fraktion bilden konnte. Die EDU gehört in jenen Kantonsparlamenten, in welchen sie keine eigene Fraktion stellt, jener der SVP an.

Ob die Piratenpartei und die Schweizer Demokraten auch passende Fraktionen finden könnten, ist hingegen weniger klar. Die Piratin Jolanda Spiess-Hegglin politisierte im Zuger Kantonsrat ohne Fraktion, was aber nicht bedeutet, dass eine Zusammenarbeit zwischen der Piraten- und einer anderen Partei grundsätzlich unmöglich ist.

Ob die Schweizer Demokraten eine Fraktion finden würde, welche sie aufnehmen würde, ist hingegen fraglich.

Muss muss auch bedenken, dass die EVP und die SD, als sie noch im Rat vertreten waren, meines Wissens tatsächlich ohne Fraktion politisiert und sich nicht einer Existierenden angeschlossen haben.

Trotzdem läge der Ball bei den grösseren Parteien, ihre Fraktionen für Kleinparteien zu öffnen, wenn sie sich denn tatsächlich so stark um die Ratseffizienz sorgen. Die Möglichkeiten dazu sind gegeben und werden in anderen Parlamenten auch genutzt.

Aber sogar wenn die Abschaffung des Quorums den Gemeinderat weniger Effizient machen würde: Eine Hürde, die die Homogenität eines Parlaments künstlich erhöht und dabei kleine Parteien, die eigentlich gewählt worden wären, ausschliesst, ist meiner Meinung nach schlicht undemokratisch. Zürich hat das weder verdient noch nötig und ist stark genug, alle politischen Meinungen einzubeziehen. Auch wenn man persönlich die Meinungen nicht teilt.

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